Vor Sonnenaufgang

Der Fährmann
Zehn vor acht in der Flussmitte
Der schon jetzt
seine Augen weit flussabwärts
laufen lässt

Das herannahende Ufer
das seine Gedanken zurückholt
Aufs Schiff
An die Schalthebel

Die Uhr am Handgelenk
die sich seinen unsicher gewordenen Blick einfängt

Ein zweites Erwachen
Dort und
Hier


(Veröffentlicht am 30. März 2020)

Kleiner Advent

Würde für einen Augenblick
Der schwerhängende Himmel
Aufreißen von dort oben
In meine Wortfetzen
Strahlen

Dieses Schneekristall
Dort vor dem Fuß
Würde zum Regenbogen
Verglühen


(Veröffentlicht am 30. März 2020)

Schweigender oft

Schon wächst ein neues Grün der Erde
Den Fuß bespielt mit Scham die zarte Luft
Doch fahle Haut den Sommer oft begehrte
Und weiß vom Ende, das mit Andacht ruft

Noch immer bläht sich Blut der frühen Jahre
Treibt mit dem Löwenzahn sein keckes Spiel
Der hat geruht – ich poche auf das Wahre
Der Menschenzeit, die manchmal reicht ans Ziel

Bald wird der Himmel Weite sich ergießen
Und retten manch umsorgten Tag
Wir sollten pralle Wörter uns erschließen
Die in sich tragen, was uns beistehn mag.


(Veröffentlicht am 30. März 2020)

Leibklänge

Du Freund der letzten Tage
Vielleicht mahnt jetzt dein Ruf
Befragst die hellen Töne
Gejuchzt im Frühlingsduft

Belass der Gräser Blühen
und Welken – ohne mich
Die Amsel mag ihr Singen
Der Dämmrung widmen fürsorglich


(Veröffentlicht am 30. März 2020)

In didn´t hear nobody pray

[in memoriam T. v. Z.]

Hände über dem blanken Papier
ahnen Pfade des Säglichen
Geschlungen um Stunden des Reisens

Da! ein Kind schreit draußen
Vor dem Kopfhörer

Kreidefressend antwortet EC Verdi
Bin eure bleiche Mutter
Die Eile

Feuerwalzen über dem grünen Äquator
Radieren aus im Sekundentakt
Das flirrende Wogen der Baumriesen
Die Gesänge der Brüllaffen
Dort so weit

Weltweites Geplapper auf den Monitoren
Schwerer Regen fällt wohl schon bald

Oh Lord, I didn´t hear nobody pray.


(Veröffentlicht am 30. März 2020)

Der Bambus blüht

Heimlich inmitten meines trunkenen Lebens
Biegen sich Halme des Bambus – ermattet
Schwer sind die Rispen aus fremden Ländern
Dem Kairos geweiht das verzauberte Gras

An der Kehle der Zeit das Millennium endet
Wenn seltene Blütenschauer trauern
Als Zeitgenossen stehen hier und drüben
Noch Bäume des Lebens am Rinnsal gepflanzt

Eilig begreifen wir das Reife
Die Frucht aus Eden
Das gestundete
Wort


(Veröffentlicht am 30. März 2020)

Bird alone

[für J.B.]

Komm zurück Schwalbe
Bring mir meinen Sommer
Und deinen Winter dort wieder

Jährliche Flugbahnen
zerschneiden meine Kleinwelten
Denkst darüber nicht nach
Wie über deinen Abschied

Komm noch einmal Schwalbe
Wandle mir deinen Winter
in meinen Sommer
Komm
Zurück

Den Abschied heute nicht nur mir
Auf den immerwarmen Drähten
des Südens erinnere dich

Bring mir meinen Sommer zurück



(Veröffentlicht am 30. März 2020)

Café du Centre

Die beißenden Sonnenstrahlen von gestern
sind zahnlos geworden
Die ersten taumelnden Blätter
der Platanen treiben schon

Wohin

Im zögernden Schritt der Passanten
Macht sich Wehmut breit

Alors ça fera deux Pastis


(Veröffentlicht am 30. März 2020)