Blutroter Mond

Gelächer zwischen den Pappdeckeln
Hohe Welt der Muse und des Marktes
Wo war deine Heiterkeit und
Dein Gewinn
Als ich mich sorgte

Blutroter Mond
Stillst meine Sehnsucht nicht
Die mich schwarz und schwer befällt
Wo war deine Antwort
Als ich dich anbellte


(Veröffentlicht am 30. März 2020)

Weg allein

Der Stunden Zeiger geht dir nach
Zu kurz der Schenkel, der sich müht
Das Laken – ich betreu es wach
Erhitzen Auges, das schon sieht

Wie du dich näherst rotgebrannt
Ich hab mich schwer getan – gebannt

Ein Leben, das ohn dich geschieht
Doch pulst in mir bis unters Dach
ein Schlag, der gern mit dir vergeht
Der große Zeiger geht dir nach


(Veröffentlicht am 30. März 2020)

Babylon zwei drei

[San Gimignano]

Erregte Türme speien alte Kunst
Sehr mutig müd gewordnen kalten Gassen
Hier blüht Geschlechter Lust und Stil
Nur jenen, die vom Fluss der Zeit sich nähren lassen

Dort drüben nehmen sich ganz andre Kinder
den alten Steinplatz für ein kläglich neues Spiel
Sie suchen sich im Meer der Moden
Und alle trennt, was gestern noch gefiel

Wer sucht des Jahres Lauf zu deuten
Dem sprechen wundersame Töne sich ins Ohr
Des Kuckucks Terz – sie prägt den Chor der Jungen
Ein Schrei nach Dauer, der sich schon verlor


(Veröffentlicht am 30. März 2020)

Stumm

[vox humana]

So schrei doch!
Plapper weiter noch
trägst und birgst Gebete du mit Wucht

Ach, deine Zunge ist festgezurrt
Mit Wortwitz nach Plan eingelagert
Schon früh im Holozän
Erscheint ER

Hast nicht geahnt solche Größe
Musstest dienen der Hybris Babylons
Bis heute

Doch bald schlag zu!
Sammle dann die Verirrten
Zu dienen
Deiner Weisheit


(Veröffentlicht am 30. März 2020)

Starke Erinnerung

Ermattet stürzen die Kleider nach unten
Lassen Haut und Herz so nackt dastehn
Eben noch waren wir liebend verbunden
Halt mich von ferne! das wird bestehn

Den Sommer erwarten wir allenthalben
Wag es jetzt ihm entgegen zu spähn
Kein Tasten! kein Zögern! das Fieber lass walten
Gestriger Zweifel – heut darfst du verglühn


(Veröffentlicht am 29. März 2020)

Spätsommerbild

Geleerte Kaffeetassen
Dort im Spätsomnmerlicht
Nah zusammen die Henkel
Blickrichtung Südsüdwest
Ja! dorthin wieder

Der Apfelkuchenrest bleibt für länger

Drüben der Kirschbaum
Hält sich mit Sprüngen und Spalten
Trotzt den Winden
Gebiert sich entzieht sich
Jahr um Jahr
Hat sein Wissen um alles
Von weit her

Dreh dich um
Tauch ein in den roten Rosenblust
Und ströme und fliege und jauchze
Deine Nase sie färbt sich ein
Steigt mit den Hummeln trunken
In die Lüfte


(Veröffentlicht am 29. März 2020)

Möchtegernherbst

vor augen die streunenden blätter
noch zögern sie taumeln zurück
im aufwind
zwischen himmel und erde

unter den brennenden füßen atmet sich
meter um meter
stunde um stunde
der sommer aus

im rücken das beharrliche drängen
von weit vom anfang her

gedehntes atmen
unter einer geschlossenen wolkendecke.


(Veröffentlicht am 3. Januar 2016)

Zwischen den Jahren

Der Rückblick zärtlicher als zuvor
Kein Lidschlag vor geweiteten Pupillen
Die Blautöne im Grauen obsiegen
Im Zeitraffer: Schön und gut.

Dort drüben halten sich schon jetzt
Forsythie Kornblume Aster aneinander fest
Ohne Zutun wechselt auch meine Hautfarbe
Eins und eins wird abgerechnet
Am Schluss.

Zwischendrin wird sorgsam ausgelöffelt
Verkostet Brocken um Brocken
Was übrig blieb und ohne Kairos
Den Rest der Stunden ordnet ein zuckender Zeiger
Dreh dich nicht um und folge
Den pulsierenden Stummelfarben.


(Veröffentlicht am 3. Januar 2016)

Ballistische Übung

[Drehbuch für einen Atemzug]

An einem späten Novembertag
Kraniche schrien noch am Nachmittag
Sich anzufreunden
Dort am Rheinufer
Mit einem eher unbeteiligten
Stumm beschneiten Kiesel

Ihn nach kühnem Gedankenspiel
In der rechten Wurfhand
Zwischen Daumen Zeigefinger Mittelfinger
Zurechtzulegen

Sich dabei zu erinnern grinsend
An abertausend frühere

Dann den angewärmten Findling
Wuchtig und beherzt
Hinauszuschleudern
Zuerst ins Reich der Schneewolken

Dann das Stürzen
Tief und tiefer
Bis an die Wasserhaut

Im Zeitraffer
Blinzelnd zu verfolgen
An einem späten Novembernachmittag

Zu sehen
Wie das nasse Spannlaken
Eine Tür lautlos
Schließt
Verstummt.

Dabei wäre mit einem Atemzug mein unerhörtes Leben zu denken


(Veröffentlicht am 2. April 2015)

Holzhärten

Schwing die Axt nur
Treib tief deinen Logos
In die Zeitringe
Auch deiner mühseligen Jahre

Spreng mein Blut – versuchs
Doch atme anders die Jahre
Die Luft entlang der Ringe

Dann schneid sie in die Haut
Den Rotbuchen
Wie Verliebte im Mai


(Veröffentlicht am 2. April 2015)